Fragetechniken
Die Kunst des professionellen Fragens
Grundlagen der Fragetechniken
Definition: Fragetechniken sind systematische Methoden zur gezielten Gesprächsführung im Coaching, die dazu dienen, Erkenntnisse zu fördern, Reflexion anzuregen und Lösungsprozesse zu unterstützen.
Ziele:
- Bewusstsein schaffen und erweitern
- Selbstreflexion fördern
- Lösungsressourcen aktivieren
- Perspektivenwechsel ermöglichen
- Klarheit über Ziele und Werte schaffen
Grundtypen von Fragen
Offene vs. Geschlossene Fragen
Offene Fragen:
- Beginnen mit W-Wörtern (Was, Wie, Wann, Wo, Warum, Wer)
- Fördern ausführliche Antworten
- Regen zum Nachdenken an
- Beispiel: „Was ist für Sie dabei besonders wichtig?“
Geschlossene Fragen:
- Können mit Ja/Nein beantwortet werden
- Dienen der Präzisierung
- Helfen bei Entscheidungen
- Beispiel: „Haben Sie das schon einmal versucht?“
Fragetechniken im Detail
Skalierungsfragen
Bewerten von Situationen auf einer Skala (1-10)
Anwendung:
- „Auf einer Skala von 1-10, wie zufrieden sind Sie aktuell mit…?“
- „Was müsste passieren, damit Sie von einer 5 auf eine 7 kommen?“
Nutzen:
- Konkretisierung von Gefühlen
- Fortschrittsmessung
- Zielsetzung
Hypothetische Fragen
Erkunden möglicher Szenarien und deren Auswirkungen
Beispiele:
- „Angenommen, das Problem wäre gelöst - was wäre dann anders?“
- „Stellen Sie sich vor, Sie hätten unbegrenzte Ressourcen…“
Nutzen:
- Öffnen neuer Perspektiven
- Ressourcenaktivierung
- Lösungsorientierung
Systemische Fragen
Betrachten von Beziehungen und Zusammenhängen
Beispiele:
- „Was würde Ihr Partner/Ihre Kollegin dazu sagen?“
- „Wer ist noch von dieser Situation betroffen?“
Nutzen:
- Erweiterung der Perspektive
- Berücksichtigung des Umfelds
- Verstehen von Wechselwirkungen
Ressourcenfragen
Aktivieren vorhandener Stärken und Fähigkeiten
Beispiele:
- „Wann haben Sie schon einmal eine ähnliche Herausforderung gemeistert?“
- „Was sind Ihre besonderen Stärken in dieser Situation?“
Nutzen:
- Selbstwirksamkeit stärken
- Vorhandene Lösungskompetenzen nutzen
- Positive Energie mobilisieren
Zirkuläre Fragen
Betrachten von Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln
Beispiele:
- „Wie sieht Ihr Chef die Situation?“
- „Was würde ein neutraler Beobachter wahrnehmen?“
Nutzen:
- Perspektivenwechsel
- Objektivierung
- Empathie fördern
Spezielle Fragetechniken
Wunderfrage
Technik: „Stellen Sie sich vor, über Nacht geschieht ein Wunder und Ihr Problem ist gelöst. Woran würden Sie das am nächsten Morgen merken?“
Anwendung:
- Lösungsvision entwickeln
- Zielklärung
- Motivation steigern
Ausnahmefragen
Technik: „Gab es Zeiten, in denen das Problem nicht oder weniger stark vorhanden war?“
Anwendung:
- Ressourcen identifizieren
- Erfolgsstrategien erkennen
- Selbstwirksamkeit stärken
Verschlimmerungsfragen
Technik: „Was müssten Sie tun, damit die Situation noch schlimmer wird?“
Anwendung:
- Verantwortung verdeutlichen
- Handlungsoptionen aufzeigen
- Paradoxe Intervention
Fragetechniken nach Coaching-Phasen
Einstiegsphase
- „Was bringen Sie heute mit?“
- „Womit können wir Ihnen am besten helfen?“
- „Was ist Ihr Anliegen?“
Problemerkundung
- „Erzählen Sie mehr darüber…“
- „Seit wann besteht diese Situation?“
- „Was haben Sie bereits versucht?“
Zielklärung
- „Was genau möchten Sie erreichen?“
- „Woran werden Sie merken, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben?“
- „Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?“
Lösungsentwicklung
- „Welche Möglichkeiten sehen Sie?“
- „Was könnte ein erster kleiner Schritt sein?“
- „Welche Unterstützung brauchen Sie?“
Abschlussphase
- „Was nehmen Sie aus unserem Gespräch mit?“
- „Wie wollen Sie vorgehen?“
- „Bis wann haben Sie den ersten Schritt umgesetzt?“
Qualität der Fragestellung
Kriterien für gute Fragen
- Einfach und klar: Verständlich formuliert
- Offen: Raum für eigene Antworten
- Relevant: Bezug zum Coachee-Anliegen
- Respektvoll: Wertschätzend und nicht wertend
- Zielführend: Fördern den Coaching-Prozess
Häufige Fragestellungsfehler
- Suggestivfragen („Finden Sie nicht auch, dass…?“)
- Doppelfragen (mehrere Fragen auf einmal)
- Warum-Fragen (können defensiv wirken)
- Zu komplexe Formulierungen
- Bewertende Fragen
Timing und Dosierung
Wann welche Fragen?
- Beginn: Offene, erkundende Fragen
- Vertiefung: Spezifische, fokussierende Fragen
- Lösungsphase: Handlungs- und ressourcenorientierte Fragen
- Abschluss: Zusammenfassende und planungsorientierte Fragen
Angemessene Dosierung
- Pausen für Reflexion lassen
- Nicht zu viele Fragen hintereinander
- Raum für eigene Gedankenentwicklung
- Balance zwischen Fragen und aktives Zuhören
Kulturelle und persönliche Aspekte
Anpassung an den Coachee
- Sprachstil und Bildungsstand berücksichtigen
- Kulturelle Besonderheiten beachten
- Persönlichkeitstyp einbeziehen
- Emotionale Verfassung würdigen
Ethische Überlegungen
- Respekt vor der Autonomie des Coachee
- Keine manipulativen Fragen
- Transparenz über Absichten
- Grenzen respektieren
Übung und Weiterentwicklung
Praktische Übungen
- Fragenkatalog für verschiedene Situationen entwickeln
- Videoreflexion eigener Coaching-Gespräche
- Supervision und Feedback einholen
- Rollentausch-Übungen
Weiterführende Literatur
- Systemische Fragetechniken
- Lösungsfokussierte Gesprächsführung
- Narrative Therapie und Coaching
- Motivational Interviewing
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